In einem hohen Raum hängen hunderte kleine Submunitionen an Fäden von der Decke.
OpferLaos

Für viele arme Menschen ist das Sammeln von Altmetall eine wichtige Einnahmequelle. Doch dabei stoßen sie immer wieder auf tödliche Kriegsreste. Schwere Unfälle sind an der Tagesordnung. 

Es ist der 22. September. Seit einer Woche sind wir in Laos, Tim Dirven und ich, um einige Fotos und Erfahrungsberichte zur Problematik von Streubomben mit nach Belgien zu nehmen. Heute  machen wir uns auf den Weg zu einem Schrotthändler am Ortsende von Xepon. Handicap International unterhält in diesem kleinen Dorf in der Provinz Savannakhet ein Büro. Es dient als Stützpunkt für das Projektteam, das zur Bekämpfung der Munitionsgefahr angerückt ist. Seitdem wir angekommen sind, führen uns die Mitglieder des Teams die Probleme bei der Gewinnung des Metalls eindringlich vor Augen. 

Pethdavahn, die Leiterin des Aufklärungsprogramms zur Vermeidung von Unfällen, hatte uns bereits vorgewarnt: „Wie werden Dörfer betreten, wo nicht auszuschließen ist, dass sie Leute mit einem Metallsuchgerät sehen werden. Wenn Sie ihnen folgen wollen, müssen Sie vorsichtig sein und falls diese Leute auf einen Fund stoßen, dürfen sie nicht in der Nähe bleiben. Es ist zu gefährlich“. Eine Warnung, die uns einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Gleichwohl ist dies eine allgegenwärtige Gefahr für viele Menschen in diesem Distrikt von Laos.

In nur wenigen Tagen konnte ich mir selbst von diesem Problem ein Bild machen. Zu Beginn fragt man sich, warum diese Leute das Risiko einer Verstümmelung eingehen oder sogar ihr Leben nur wegen einem bisschen Metal aufs Spiel setzen. Die Antwort ist einfach. Es reicht, in die Dörfer der Region zu schauen, um zu verstehen: Ihre Einwohner gehören zu den Ärmsten des Landes. Es ist am Zustand vieler Häuser zu erkennen, in denen Strohmatten entlang heruntergekommener, halb eingestürzter Wände ausgelegt sind. Ich sehe all dies, als sie mich zu sich einladen – obwohl ich unablässig Fragen stelle... Oft sind die Möbel schlicht: Ein kleiner Schrank zur Aufbewahrung aller familiären Kleiderstücke. Das ist alles. In dieser Region beträgt das Durchschnittseinkommen gerade mal einen Euro am Tag.  

Son Kea, eine 55-jährige Frau, bringt das ganze Problem in nur wenigen Worten auf den Punkt. Nach einem Aufklärungskurs zu den Gefahren von explosiven Kriegsresten habe ich mit Hilfe eines Übersetzers die Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Beim Kurs ging es um das richtige Verhalten in verschiedenen Situationen des Alltags, so auch darum, wie man sich korrekterweise des Metallsuchgeräts bedient. Son Kea hat mir von ihrem Leben berichtet, über die Zeit während des Kriegs und über das Leben danach. Ich stelle ihr die Frage: „Holen Sie das Metall aus den Bomben heraus, obwohl Sie wissen, dass es gefährlich ist?“ Ihre Antwort lässt keine Zweifel offen: „Nein, jetzt nicht mehr, da ich zu alt bin. Ich habe nicht mehr die Kraft dazu, die Last zu tragen. Aber wenn ich es könnte, würde ich es tun.“ Ihre Tochter ist es nun, die aufbricht, um nach dem Metall zu suchen. „Sonst hätten wir nicht genug Reis zum Überleben. Während der Regenzeit ist es besser, dann müssen wir nicht Metall sammeln gehen. In Vietnam findet man genug Bambusrohre zum Weiterverkaufen, um mit dem Geld die Familie zu ernähren. Wenn niemand mehr das Metall aufkaufen würde, dann wäre das Leben sehr schwer, da wir keine andere Wahl hätten.“ Gewiss, Son Kea und ihre Angehörigen haben genügend Menschen gesehen, die nach der Explosion eines „Bombie“, wie sie es hier nennen, getötet oder verstümmelt wurden. Die Rechnung ist simpel: Sie haben keine Wahl.  

Das Team von Handicap International hat dennoch Anzeichen einer positiven Entwicklung erkannt. Die Botschaft scheint sich innerhalb der Bevölkerung herumzusprechen. Bounmai und Kinoy, die sich um die Aufsicht der freiwilligen Helfer im Distrikt Xepon kümmern, sind zuversichtlich: „Zu Beginn des Projekts vor zwei Jahren wussten die Dorfbewohner wenig über die konkreten Gefahren der Bomben. Wenn sie etwas finden, so melden sie uns es immer öfter und wir haben wenige Opfer.“ Noch besser: Im Distrikt von Villabuly ist seit dem Anlaufen des Projekts von Handicap International kein Unfall mehr gemeldet worden!  

Ich selbst kann den Unterschied zwischen den beiden Distrikten feststellen. Die Straßen sind in einem besseren Zustand, die Leute entlang der Straße machen den Eindruck, wohlhabender zu sein. Selbst das kleine Dorf, in das wir fahren sollen, erlebt offenbar durch die vor einigen Jahren eröffnete Gold- und Kupfermine einen positiven Aufschwung.  

Reicht es aus, sich auf die Suche nach einer alternativen Einnahmequelle zu machen? Ja, aber nicht allein das. Ich habe nicht den Eindruck, dass es über die Arbeit von Handicap International hinaus etwas gibt, das die Leute davon abhält, Metalle zu sammeln. Nehmen wir einmal den Kauf eines Metallsuchgeräts. Es gibt nichts Einfacheres: Man findet sie auf dem Markt von Xepon. Wir haben ein Experiment gemacht und einen gekauft. Nach einer kurzen Zeit der Verhandlung haben wir  für 150.000 Kips ein chinesisches Fabrikat bekommen. Dies entspricht etwa 12,50 Euro. Bei einem Verkaufspreis von einem Kilo Metall für rund 200.000 Kips geht die Rechnung leicht auf.

Kehren wir zurück zum Schrotthändler. Pethdavahn erinnert uns noch einmal an die Sicherheitsbestimmungen: Nichts berühren und auf den Wegen bleiben! Ich gebe zu, nicht erwartet zu haben, was ich nun zu Gesicht bekam. So stellte ich mir vor, dass die Kriegsreste nichts anderes als kleine metallische Objekte wären, die aufgesammelt wurden. Der Schrotthändler  hat mich schnell eines Besseren belehrt, zumal ein Großteil seiner Einnahmen aus diesem Geschäft stammt. Bereits jetzt am Eingangsbereich erwartet uns eine Sammlung von Granaten in beträchtlicher Größe. Egal wo ich hinblicke, es scheint mir, als sähe ich nichts anderes als aufgestapelte „Bombies“ und auseinander genommene Mörsergranaten.  

Die Mannschaft scheint beunruhigt zu sein. Kengkeo nennt man hier den Verantwortlichen des Entminungspersonals. Er prüft die Stätte, entdeckt eine Streubombe und eine Mörsergranate, die noch Ladung in sich trägt. Ein bisschen weiter entfernt liegt Streumunition mit Spuren weißen Phosphors, einer chemischen Substanz, die schwere Verbrennungen erzeugt. Ich denke an das sechsjährige Mädchen, das am Eingang des Hauses stand. Sie dürfte bestimmt diesen Ort zu ihrem Spielplatz gemacht haben. Der Händler dachte in diesem Augenblick bestimmt dasselbe. Dennoch ließ er uns zuvor bereits Folgendes wissen: „Wenn die Dorfbewohner zu mir kommen, dann prüfe ich nach, ob das, was sie anliefern, nicht schon ausgenommen ist. Wenn Munition immer noch explosiv ist, nehme ich sie nicht an.“ Schließlich ist er selbst irgendwie Opfer dieser Geschäftspraktiken. Zuvor hatte ich ihn mir noch als ruchlosen Profiteur menschlichen Leids vorgestellt. 

Das Problem mit der Gewinnung von Metall aus explosiven Kriegsresten in Laos ist, wie man sieht, sehr komplex. Handicap International kann zwar durch Aufklärung und Aufräumung Unfällen vorbeugen. Doch darüber hinaus muss ein Großteil der Lösung aus der Verbesserung der sozial-ökonomischen Situation hervorgehen. Auch ist hier der politische Wille gefragt, um endlich diesen Praktiken ein Ende zu setzen und der in Armut lebenden Bevölkerung Alternativen zu bieten.  Andernfalls dürften die Verkäufer der Suchgeräte noch einige schöne Tage vor sich haben.  

Text von Aurore Van Vooren im März 2010

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